Oliver Tree weiß, dass er – auf eine Art – nicht ganz bei Sinnen ist. Wenn man seinen Freund anriefe, um ihm atemlos zu erklären, dass man eine Vision von sich selbst habe, in die Ukraine zu reisen, um dort in Übergrößen-Bekleidung von einem zwölfstöckigen Gebäude zu springen – was würde der Freund anderes denken als: der hat seinen Verstand verloren? Wenn man demselben Freund dann auch noch mitteilte, dass man einfach nicht aufhören könne, darüber nachzudenken, sich an den weltgrößten Scooter der Welt kreuzigen zu lassen, zu welchem anderen Schluss sollte dieser kommen?
Ebenso wahr ist jedoch, dass Oliver Tree eine Art visionäres Genie sein muss, denn er ließ genau diese beschriebenen Dinge – den Sprung, die Kreuzigung und vieles mehr – wahrwerden. Es steht indes jedem offen, die passende Metapher zur Beschreibung dieser Errungenschaften zu wählen – Oliver Tree als verrückter Professor, Oliver Tree als grandioser Troll, Oliver Tree als wahnsinniger Architekt. Oliver selbst vergleicht das Erlebnis mit der Fahrt in einer Achterbahn, bei der er seine Millionen von Follower auf eine unvorhersehbare Reise durch eine aberwitzige Welt voll komischer Katastrophen, Panzer und Scooter mitnimmt – Scooter müssen immer dabei sein. Wenn man in einer Achterbahn sitzt, vergisst man leicht, dass jemand die Kontrolle hat – irgendjemand in einem Polo-Strickhemd und Khaki-Shorts wacht über die Geschwindigkeit und die Bremsen. Im vordersten Sitzplatz fühlt es sich an, als gehorche eine Achterbahn einzig den Gesetzen der Schwerkraft. Ganz so, wie man sich beim Ansehen von Trees Videos, seiner Instagram-Postings oder Live-Performances, wenn seine unverkennbare Stimme über Gitarren und Drums bellt, unvermeidlich die Frage stellt: Was passiert hier gerade? Wer macht das? Wer hadie Kontrolle?
Am 17. Juli veröffentlichte Oliver Tree sein längst überfälliges Debütalbum UglyIs Beautiful. „Die Wahrheit ist: es ist die Arbeit eines ganzen Lebens“, sagt Oliver. Die Wahrheit mag spiegelglatt sein, doch in diesem Fall meint er es absolut ernst. Es gibt kein Detail des Projektes, das er nicht angefasst hätte. Keine Heldentat, die er nicht vollbracht hätte (beispielsweise brachte er sechs Monate damit zu, auf dem Perris Auto Speedway das Fahren eines Monstertrucks zu erlernen, nur damit er ihn im Video zu „All That x Alien Boy“ würde steuern können).
Ob er über struppige Pop-Punk-Gitarren und fröhliche Handclaps singt oder über einen Beat rappt, der an frühen 90er-Jahre Boom-Bap erinnert: Olivers Musik findet ihren emotionalen Widerhall in der uralten Gegebenheit, dass, wie er es nennt, „die menschliche Erfahrung eine einsame ist“. Seine Musik verwandelt die Einsamkeit und Kraft in Nostalgie. Die Achterbahn, sie steuerte seit jeher auf dieses Ziel zu.